1010 WIEN, GRILLPARZERSTR. 14
28. MAI. – BIS 19. SEPT. 2014    MO - FR 8-16 UHR



ADVENTURES IN TEXTILES. BUG IN A RUG. Die zweite Ausstellung 2014 ist ganz der Materialität, dem Textil im weitesten Sinne gewidmet. Fragilität und Vergänglichkeit, Alterungsprozess und Vernichtung textiler Gebrauchsgegenstände stellen für die 1969 in Székelykeresztúr, Rumänien, geborene Künstlerin Noémi Kiss seit Langem ein Faszinosum dar, das sie in ihren zwischen Architektur, Design und Recycling-Art angesiedelten Arbeiten visuell und taktil sinnlich umzusetzen versucht. Dies erklärt sich nicht zuletzt aus ihrer Biografie, zu der neben einem Architekturdiplom an der TU Wien und einem abgeschlossenen Philosophiestudium an der Universität Wien auch ein eigenes Kleidungslabel und die Mitbegründung des Designerduos "KISSTHEREICHL" gehören. Mit Beton-Teppich-Objekten in der Kreativszene bekannt geworden, verwendet Kiss nun in ihren aktuellen Arbeiten das Baumaterial PU-Schaum, welches in jedem einschlägigen Baumarkt als Dichtungsmasse erhältlich ist. Daraus fertigt sie kunstvolle Gespinste, "Kunst-Stoffe", die an feinste Spitze erinnern und ganze Wände überziehen. So darf es das Publikum nicht verwundern, wenn sich neben delikatem, weißem Spitzenwerk allerlei textiles Getier auf den Wänden der Ausstellungsräumlichkeiten tummelt. Maria Christine Holter, Quellennachweis ÖBVaktiv Nr. 79

Vernissage am 27. Mai 2014, 18 Uhr
ÖBV Atrium, Grillparzerstraße 14, 1010 Wien

Begrüßung: Mag. Josef Trawöger, Vorstandsvorsitzender der ÖBV
Kuratorin: Jacqueline Chanton
Eröffnung/Laudatio: Mag. Maria Christine Holter
Musik: Barbara Achammer, Sopransängerin / Sayuri Matsuda-Hirano, Klavier

 

 

 

Assistenz: Oskar Butt, Fotos: Helmut Krbec

 

ADVENTURES IN TEXTILES. BUG IN A RUG oder: Was verbindet Kiss und Kafka? Mag. Maria Christine Holter
 
Großer Andrang herrschte bei der Vernissage der bildenden Künstlerin, Architektin und Philosophin Noémi Kiss im ÖBV-Atrium, um ihre von Kriechtieren bevölkerten Textil- und Recycling-Arbeiten zu bewundern. Josef Trawöger, Vorstandsvorsitzende der ÖBV, begrüßte die Gäste und Barbara Achammer (Gesang) begeisterte gemeinsam mit Sayuri Matsuda-Hirano (Klavier) durch ihre musikalischen Einlagen.

Kein Zufall, dass in einer „Beamtenburg“, wie man die Räumlichkeiten der ÖBV pointiert bezeichnen könnte, Mist- und Hirschkäfer, Spinnen, Fliegen, Tausendfüßler und anderes Getier Einzug gehalten haben. Beschreibt doch der im Brotberuf als Versicherungsbeamte (!) tätige kakanische Schriftsteller Franz Kafka in seiner meisterlichen Erzählung „Die Verwandlung“ mit den ersten Worten, wie sich die Hauptfigur Gregor Samsa eines Morgens beim Erwachen in ein großes, käferartiges Ungeziefer verwandelt findet: „... Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch …“. Spinnt man in Gedanken diesen literaturgewordenen Albtraum weiter, so sieht man sich im Atrium von Kreaturen umgeben, denen vor ihrer Metamorphose möglicherweise ein menschliches Wesen zu Grunde lag, vielleicht sogar manch’ ÖBV Angestellter, der nun pflichtschuldigst als Käfer seinen Dienst versieht.


Bug in a Rug
Noémi Kiss’ textile Wesen sind solche „beseelten Kreaturen“, Verwandelte, die durch die künstlerische Entfremdung zu neuem Leben erwacht sind: Der beeindruckende Hirschkäfer etwa, der aus einem alten Perserteppich herausgeschält an der Wand der ÖBV sein Eigenleben entfalten darf; oder die Spinnen und Käfer mit ihren ausladenden Beinen, welche ihre wunderbaren Panzerzeichnungen der künstlerischen Umdeutung von Teppichornamenten verdanken.
Alte Teppiche sind das bevorzugte Ausgangsmaterial bei Kiss – Textilien, die in vielen Monaten weiblicher Handarbeit entstanden sind. „Ich schätze das alte Handwerk, die heute so vielgeschmähten Spitzendeckerl, die in zahllosen Stunden gefertigten Teppiche und Wandbehänge, die unbelohnte Arbeit von anonym gebliebenen Frauen und will sie mit meiner Kunst aufwerten“, äußert sich Kiss im Gespräch über die Beweggründe ihres Kunstschaffens. Es sind „Adventures in Textile“, die sich vor den Augen des Publikums ausbreiten und dazu einladen, sich staunend darauf einzulassen.


Fragilität und Vergänglichkeit
Der Alterungsprozess und die Vernichtung textiler Gebrauchsgegenstände stellen für die 1969 in Siebenbürgen geborene Künstlerin Noémi Kiss seit langem ein Faszinosum dar, das sie in ihren zwischen Architektur, Design und Recycling-Art angesiedelten Arbeiten visuell und taktil sinnlich umzusetzen sucht.
Aus der bis 2013 währenden Designerarbeit mit Andreas Reichl („KISSTHEREICHL“) zeigt die Künstlerin einige gelungene Beispiele, wie z.B. das mit wendigen, ineinander verschlungenen Eidechsen bemalte Teppichobjekt im Seminarraum. Malen ist hier nicht der richtige Ausdruck. Der Teppich ist, mit Ausnahme der figurativen Fehlstellen völlig durchtränkt mit kübelweise aufgebrachter Acrylfarbe, und das mittels grober Malerwalzen. Was wie ein zarter, transparenter Farbschleier aussieht, wiegt in Wahrheit etliche Kilo und versteift sich im Trocknungsprozess zur Gänze. Das einstmals flauschige Heimtextil wird betonhart und -schwer.


Kunst-Stoffe
Mit Beton-Teppich-Objekten und Interieurs aus Gussbeton in der Kreativszene bekannt geworden, verwendet Kiss in ihren Arbeiten neuerdings auch das Baumaterial PU-Schaum, welches in jedem einschlägigen Baumarkt als Dichtungsmasse zu haben ist, und fertigt daraus kunstvolle Gespinste. Mit der Polyurethan-Spritze bewaffnet „klöppelt“ die handwerklich versierte Künstlerin per Druck auf die Tube die unglaublichsten Spitzenobjekte. Diese ungewöhnlichen „Kunst-Stoffe“, lassen an feinste Brüsseler Spitze denken und können, wie im Atrium angewandt, ganze Wände überziehen oder als frei hängende Installation den Raum neu definieren.
Dabei setzt Kiss auf das Aufeinanderprallen von scheinbar Unverträglichem, wie Bau- mit Kunstmaterialien, von toter, wertlos gewordener Materie mit Lebendigem. Durch die Inszenierung vermeintlich abstoßender Werkstoffe und Sujets stellt Kiss die Gültigkeit glattpolierter Oberflächen in Frage, und das nicht nur im architektonisch-künstlerischen Sinn. Ihre gesellschaftspolitischen Statements sind in der oft an der Oberfläche verharrenden Kunst- und Kreativszene dringend vonnöten und tragen zu einem  Auseinandersetzungsprozess bei, der Kunstschaffenden wie Publikum gut tut. Vielleicht ist in dieser Hinsicht auch eine Deutung der herausragenden Teppicharbeit „Synapsen“ im Foyer möglich: ein dichtes System von fein säuberlich, händisch ausgeschnittenen Nervenzellen, die die Ausweitung des künstlerischen Gedankens in das gesellschaftlich Relevante versinnbildlichen.