MIT DEN FÜSSEN SEHEN - TEPPICH IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNST
27 Februar – 22 Mai 2022 MUSEUM VILLA ROT Burgrieden DE
Teilnehmende KünstlerInnen und Institutionen
Debbie Lawson / Faig Ahmed / Farkhondeh Shahroudi / Littlewhitehead / Lucy Ann Guth / Noémi Kiss / Pia Ferm / Ramazan Can / Salah Saouli / Slavs and Tatars / Sophie Ringgenburger / Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / Veronika Mangold / Zuzanna Czebatul
Es gibt ihn in allen erdenklichen Farben, Formen und Variationen: Hochflor, Perser, Fell, orientalisch, handgeknüpft, gewoben oder maschinell produziert. Das älteste erhaltene Exemplar eines geknüpften Teppichs ist der Pasyryk-Teppich. Dieser entstand um 500 v. Chr. wahrscheinlich in Westasien und wurde im Pasyryktal (Südsibirien) geborgen. Die lange Geschichte des Teppichs ist stets eng mit der Geschichte des Menschen verknüpft: Sie sagt beispielsweise etwas über unsere Sesshaftigkeit, unser Verhältnis zum Raum oder auch über unsere Gastfreundschaft aus.
Neben dem Aufzeigen der historischen und gesellschaftlichen Knotenpunkte ermöglicht die Ausstellung vor allem eines: ein sinnliches Erlebnis für alle! Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung setzen sich mit einem Medium auseinander, mit dem wir wohl alle eine Erinnerung verbinden. In der Ausstellung können diese Erinnerungen freigesetzt oder auch durch neue Perspektiven erweitert werden. In dieser Weise bleiben die Exponate nicht nur als leblose „Dinge“ identifizierbar, sondern bilden den Ausgangspunkt, um über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges sinnlich zu reflektieren.
Es ist bezeichnend, dass gerade in den letzten Jahren eine Vielzahl an KünstlerInnen (wieder) auf das Medium Teppich zurückgreift. Gerade in Zeiten, die als besonders wechselhaft empfunden werden, berufen wir uns auf ein Inventar von Altbekanntem. Ebenso entwickeln die KünstlerInnen der Ausstellung aber auch eine neue Bildsprache und verknüpfen Vertrautes mit Unbekanntem, woraus eine ganz eigene Mischung entsteht. In diese Lücke, aus Erfahrungsschatz und Neuorientierung können wir hineinstoßen und vor Ort eine ganz eigene und sinnliche Wahrnehmung entfalten.
Museum Villa Rot
Foto: Michael Nagl
Der Grundstoff zu Beginn meiner Tätigkeit waren abgenützte, ausrangierte Teppiche, aus dem einfachen Grund, dass dies damals die günstigste Materialwahl war. Die Materialien, die ich aussuche, bewegen sich auf einer Skala von unauffällig bis abstoßend, also je abgenützter oder abgetretener ein Teppich, desto besser. Denn aufwendig gewebt oder von Hand geknüpft, erzählen Teppiche in Schichten überlagerte Geschichten, als Zeugen der Vergangenheit. Durch Verschleiß wird langsam ihre Patina freigelegt, bis zu dem Zustand, der nicht absichtlich hergestellt oder kopiert werden kann, da er langsam im Verlauf der Zeit von selbst entsteht.
Neben dem Teppich, der mit seinen vielen Facetten ein zentraler Gegenstand meiner Arbeit ist, verwende ich hauptsächlich Materialien des Alltags: herkömmliche Baustoffe und banale Gegenstände, Beton, PU Schaum oder auch natürliche Materialien wie Haar. Ich entreiße Gegenstände, die durch ihre Selbstverständlichkeit quasi unsichtbar geworden sind, ihrer gewohnten Umgebung und rücke sie in ein neues Licht.
Durch unsere Erfahrungen aus der Kindheit haben wir gelernt, fixe materialeigene Züge als Merkmale zu jedem uns bekannten Material zuzuordnen. Wir sind dabei der festen Überzeugung, dass diese untereinander nicht austauschbar seien. So ist der Stein hart, das Glas zerbrechlich und Textilien weich. Ich „verkleide“ Materialien mit wesensfremden Eigenschaften statt ihren eigenen. Das steht im Widersinn zu ihrer Erscheinungsform und hat das Potential zu irritieren. Das Irritierende erregt Aufmerksamkeit und zieht unsere Blicke auf sich. Materialien gegensätzlichen Ursprungs in eine unorthodoxe Verbindung gebracht fordert eine neue Sichtweise der Verhältnisse ein und spielt mit der Wahrnehmung des Betrachters. Durch diese Methode wird beispielsweise ein weicher Teppich zu einem harten, glänzenden und runden Objekt, das dazu einlädt sofort berührt zu werden. Was das Auge verspricht, muss die Hand verifizieren.
Diese fremdartige Verbündelung ist auch der Schritt, der ein traditionelles Handwerk in ein zeitgenössisches Kunstwerk verwandelt. Das Vertauschen der Eigenschaften verändert mit einer Gültigkeit das Verhalten der Objekte, wobei der handwerkliche Vorgang an sich unwesentlich ist. Das einzige Bestreben besteht darin, den erwünschten Effekt zu erzielen. Alles gilt um des Betruges Willen. Ohne Täuschung gibt es keine Reaktion des Publikums. Der Künstler präsentiert dem Zuschauer eine Lüge in Form einer Illusion.
Die Unbeständigkeit des Materials steht für dessen „Gebrechlichkeit“. Gerade in dieser Schwäche liegt die affektive Nähe des Menschen zum Material; es erinnert an die eigene Vergänglichkeit. Jedes durch Menschenhand geformte Gebilde ist dem Einfluss des Unkontrollierbaren und Zufälligen ausgeliefert. Es wird verwandelt durch Gebrauch, Abnutzung, Alterung und Verschmutzung. Mit Spuren, Kratzern und Rissen beladen, nimmt es menschliche Gesten auf und vergeht.
Der Alterungsprozess und die achtlose Vernichtung textiler Artefakte stellt für mich ein weites Reflexionsfeld dar. Neben ästhetischen und philosophischen, sind auch ökologische und gesellschaftspolitische Überlegungen Teil meines künstlerischen Konzepts. Gestalterisch verändert, werden die vorwiegend von Frauen hergestellten Kunsthandwerke in vielen meiner Arbeiten doppelt aufgewertet: als „Recycling-Art“ und als Würdigung meist unter- oder gänzlich unbezahlter weiblicher Arbeit. Ich mache das Textile als greifbare Gegenwelt erfahrbar: weiche Kissen und Federbetten aus rauem Beton oder ungewöhnliche "Kunst"- Stoffe, die Wände überziehen und zum Berühren einladen, um den Tastsinn sogleich zu enttäuschen. Mittels Kunst wird das Textile als wirkmächtige Sprache verwendet. Somit upgrade ich die niedrigste textile Form, die als Putzfetzen in der Regel entsorgt wird, zum Denkmal. - Die Laufmasche ist die Poesie des Kaputten!
Auch Flüssigkeiten, die durch das Bewegen ständig ihre Gestalt verwandeln, verkörpern die Flüchtigkeit und Unbeständigkeit der Dinge. Als Träger und Transporteur wird der Teppich dazu verwendet eine ausgewählte unhaltbare Form - als ausgedehnten Moment - zu retten.